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Montag 28. November 2022

Geschäftsleiter Roger Stäger – ein Jahr im Amt

«Gesund bleiben» ist ein wichtiges Anliegen eines Unternehmens. Roger Stäger spricht im Interview über Belastung bei der Arbeit, gangbare Lösungen und was ein Kulturwandel in der Stiftung für direkte Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann.

Du bist nun seit einem Jahr Geschäftsleiter der Stiftung Züriwerk. Was sind deine wichtigsten Erkenntnisse der letzten Monate?
Es gibt ein Thema, das mich besonders beschäftigt, weil ich von unserem Fachpersonal sehr häufig darauf angesprochen werde. Nämlich das Thema der Belastung bzw. der hohen Belastung, die bis zur Überlastung führen kann. In diesem Zusammenhang überlege ich mir, wer welche Rolle hat: Welche Rolle hat die Führungskraft? Welche die betroffene Person selbst und welche wir als Geschäftsleitungsgremium bzw. ich als Geschäftsleiter? Dieses Thema war und ist zentral.

Gibt es ein weiteres Thema, das dich umtreibt?
Etwas, worüber man nicht gerne spricht, weil es ein Tabuthema ist, ist die Entlöhnung. Sie hängt direkt mit dem Empfinden von Fairness zusammen. Und auch das hat einen Impact auf das Thema «Gesund bleiben». Wer gesund bleiben will, darf nicht den Eindruck haben, unfair behandelt zu werden. Es ist eine Tatsache, dass die letzten Monate der Pandemie uns extrem gefordert haben – inhaltlich und hinsichtlich Arbeitszeit. Der Aspekt der Dankbarkeit und Wertschätzung mit Blick auf den geleisteten Einsatz hängt damit zusammen, ob man gesund bleiben und die Belastung weitertragen kann und will. Das Thema «Gesund bleiben», Belastungsmanagement und Lohn ist aber komplex. Wir können nicht einfach sagen: Eine hohe Belastung kompensieren wir mit weiteren Ressourcen oder grundsätzlich höheren Löhnen. Dabei werden wir immer einen Zielkonflikt haben: Belastungsmanagement versus Personalressourcen. Die Herausforderung ist, dass man die Belastung, auch wenn sie bleibt, möglichst verträglich machen kann. Und genau da spielen die Vorgesetzten oder auch die Leitung der Stiftung eine entscheidende Rolle. Nämlich in der Würdigung, in der Tonalität und mit den entsprechenden Rahmenbedingungen.

Höhere Löhne bedeuten letztlich nicht weniger Belastung.
Nehmen wir die Pandemie selber. Die Leute erkrankten und fielen aus. Das kann man kurzfristig nicht korrigieren, es ist nicht kompensierbar. Entscheidend ist dann, ob man als Fachperson den Eindruck hat, es gebe faire Systeme und Lösungen. Lohn ist eine Komponente unter vielen.

Was sind weitere Komponenten?
Es gibt sechs Punkte, die ich persönlich für entscheidend halte: Sicherheit, Wertschätzung, adäquate Belastung, Sog anstelle von Druck, Handlungsspielräume und soziales Betriebsklima.

Wie kommst du auf diese sechs Punkte?
Ich habe mir überlegt, was «Gesund bleiben» ausmacht. Immer ist mir dabei die Belastungssituation in unserem Betrieb in den Sinn gekommen. Und gleichzeitig ist da dieser Zielkonflikt, den wir nicht über die Ressourcen lösen können, weil wir die Mittel dazu nicht haben. So habe ich definiert, was es sonst noch ausmacht. Für mich ist es offensichtlich, dass ein schlechtes Klima zu höherer Belastung führt. So bin ich nach und nach auf die sechs Punkte gekommen.

Sicherheit: Ich spreche dabei primär von psychologischer Sicherheit. Wir wissen, dass das körperliche Gesundbleiben ganz stark mit der Psyche zusammenhängt. Bei der Sicherheit geht es also um Berechenbarkeit im weitesten Sinn. Und zwar darum, ob Unternehmensziele, Strategie und auch persönliche Jahresziele klar kommuniziert sind. Die Frage hier: Widerspiegelt die Kommunikation im eigenen Bereich die Berechenbarkeit der gesamten Stiftung? Diese Berechenbarkeit ist auf der Massnahmenebene von grosser Bedeutung. Vorgesetzte müssen ihre Erwartungen an ihr Personal klar äussern.

Wertschätzung: Sie übersetze ich mit der Anerkennung der geleisteten Arbeit. Sie muss ehrlich und authentisch sein. Und es geht neben dem inhaltlichen Teil darum, dass man als Mensch gesehen wird. Damit verbunden ist, dass man mit den Aufgaben auch angemessene Verantwortung erhält. Ein Mensch, der eine Aufgabe hat und nicht selber entscheiden kann, der kommt sehr schnell in eine Ohnmacht, weil die Handlungsfähigkeit nicht gegeben ist. Und genau das gilt es zu vermeiden. Wer eine Aufgabe hat, soll sie ohne externe zusätzliche Legitimation erfüllen können bzw. dürfen. Die Vorgesetzten müssen dabei gegenüber ihren Fachpersonen aufmerksam sein. Das bedeutet in der Praxis, Rückmeldung zur geleisteten Arbeit zu geben. Was einfacher ist, wenn alles gut ist, und umso wichtiger, wenn nicht alles perfekt verläuft.

Adäquate Belastung: Wir setzen sehr schnell eine hohe Belastung mit zu viel zu tun gleich. In der Praxis ist das oft so. Es gibt aber auch das Thema der Unterforderung. Unterforderung würde heissen: Unzufriedenheit mit fehlendem Antrieb und fehlender Motivation. Deshalb geht es wirklich um die adäquate Belastung. Das kann auch bedeuten, Prioritäten zu setzen – entweder durch die Fachperson selbst oder durch die Vorgesetzten. Dafür braucht es eine passende Qualifikation der Fachperson und/oder eine Übereinstimmung vom Job und der Person bzw. der erforderlichen Persönlichkeit. Natürlich kann man sagen, dass diese Voraussetzung gegeben sein sollte. Das ist aber nicht automatisch so. Denn sowohl die Stiftung wie auch die Fachpersonen entwickeln sich weiter.

Sog anstelle von Druck: Druck würde heissen, ich fordere von jemandem etwas mit hohem Anspruch in einer möglicherweise kurzen Zeit und mit sehr eng gesteckten Vorgaben. Statt Vorgaben zu machen, könnte ich sagen: Wir sind heute da und möchten dieses Ziel erreichen. Ich teile also meine Vision und den Weg lasse ich offen. Damit lässt sich ein Sog erzeugen, der die Gestaltung des Weges freilässt und Kreativität zulässt. Ich finde diesen Aspekt sehr wichtig, da jede und jeder Einzelne das eigene Unternehmertum einbringen kann. So können individuelle Überlegungen in unsere Produkte und Dienstleistungen einfliessen und die Zufriedenheit gesteigert werden, weil uns ein Erfolg aus dem eigenen Tun heraus gelingt. Wer erfolgreich ist, kann auch mit einer hohen Belastung einfacher umgehen als eine Person, die sich die Zähne ausbeisst an einem Weg, der beispielsweise nicht der eigene ist.

Handlungsspielräume: Hier geht es darum, dass wir Vertrauen aussprechen. Damit meine ich ganz konkret, dass es nötig ist, hin und wieder einfach zu sagen: «Mach einfach.» Handlungsspielräume bewusst zu schaffen, ist eng verknüpft mit Sog anstelle von Druck. Es liegt auf der Hand, was es dafür braucht, damit das funktioniert – Toleranz bzw. Fehlertoleranz. Das heisst, wenn etwas nicht vollständig unserer Erwartung entspricht, muss man damit umgehen können. Das Motto «Mach einfach.» finde ich ein ganz wichtiges. In der Regel können Fachpersonen damit umgehen, solange sie Vertrauen haben und wissen, dass «Mach einfach.» auch gewünscht und getragen ist.

Keine Handlungsspielräume zu haben, bedeutet im Umkehrschluss, man müsste sich oft Legitimationen einholen. Das macht die Arbeit träge und schwierig, denn die Entscheidungsträger sind möglicherweise nicht in der Nähe. Unter Umständen kann das ohnmächtig machen, weil man etwas lösen müsste, was man nicht darf.

Was heisst für dich «Mach einfach im konkreten Fall?
Damit bringe ich eine Haltung zum Ausdruck. Ich will sagen, dass mir das Ziel wichtig ist, z. B. von A nach B zu kommen, und ich bin mir bewusst, dass ich nicht in jeder Sache der Spezialist bin. Ich bin überzeugt, dass die verantwortliche Person ein vertiefteres Wissen hat als ich selbst.

Und der letzte Punkt heisst?
Soziales Betriebsklima. Das sind einerseits die Elemente zwischen den Vorgesetzten und der geführten Person und andererseits auch die kollegiale Ebene innerhalb des Teams. Wenn Arbeitskolleginnen und -kollegen nicht miteinander klarkommen, ist das nicht weniger belastend, als wenn man mit den Vorgesetzten nicht klarkommt. Da geht es selbstverständlich darum, dass man sich respektvoll begegnet. Man kann das mit Fairness übersetzen. Die Hierarchie sollte in Konfliktsituationen ausgeblendet werden, damit man sich als Expertin bzw. als Experte anerkennt.

Wie siehst du deine bzw. die Rolle des gesamten Geschäftsleitungsgremiums?
All das, was ich jetzt erzählt habe, sind äussere Faktoren. Zum Thema äussere Faktoren zählt aber auch, Zuversicht zu vermitteln. Es ist ganz wichtig, dass ich als Geschäftsleiter zusammen mit anderen Führungspersonen eine ehrliche Zuversicht vermittle – keine künstliche, sondern eine Zuversicht mit Schattierungen. Mit dem Zuversichts-Begriff haben wir auch die grosse Chance, das Wir-Gefühl zu stärken. Im Sinne von: Wir haben eine schwierige und eine anstrengende Zeit. Gemeinsam gehen wir da durch und gemeinsam kommen wir da raus. Ich finde es ganz wichtig, dass man Zuversicht in Verbindung mit einer Perspektive vermittelt. Es ist zwar richtig, dass man im Hier und Jetzt ist, aber es ist essentiell, dass man weiss, was kommt. Wer keine Perspektive hat, dreht sich im Kreis. Hier schliesst sich der Kreis zum Thema Sicherheit. Zuversicht kann ebenso ansteckend sein wie Pessimismus. Wer in einem negativ geprägten Umfeld ist, tut sich schwer, positiv zu sein. Wer aber von Leuten umgeben ist, die sagen, das packen wir, wird sich von der positiven Haltung anstecken lassen. Die Fachpersonen, das Leitungsteam – wir alle können Multiplikatoren für die Zuversicht der Stiftung sein.

Wo stehen wir auf dem Zuversichts-Barometer in unserer Stiftung?
Wir haben sehr viele Aufgaben vor uns, die wir mittelfristig zu lösen haben. Es ist weniger die kurzfristige als vielmehr die mittelfristige Sicht, die wichtig ist. Wir haben Voraussetzungen, die ich positiv sehe: Wir haben ein Geschäftsleitungsgremium, das am gleichen Strick zieht – mit gleichen Vorstellungen und Zielen. Und wenn wir die mal nicht haben, dann gelingt es uns, diese gut abzustimmen. Und ebenso wichtig: Wir haben einen Stiftungsrat mit einem neuen Präsidium, das uns unterstützt in unserem Handeln.

Und wo stehen wir nun auf der Zuversichts-Skala?
Persönlich stehe ich zwischen einer 7 und einer 8. Wenn ich eine 10 nennen würde, dann wäre das nicht ehrlich. Auch eine 5 wäre nicht ehrlich, denn anstrengende Aufgaben heissen nicht, dass sie nicht machbar sind. Ich halte die Aufgaben, auch die einzelnen grossen, die bevorstehen, für lösbar.

Du hast sehr viele Ideen und Vorstellungen. Wie kommt die Ideologie, die du vertrittst, in der gesamten Stiftung an? Was ist dein Weg oder deine Strategie?
Ich finde, das entscheidendste Element dabei ist die Kommunikation. Ich kann einen Teil direkt kommunizieren und wir haben diverse Möglichkeiten wie Personalinformationen, Führungsausbildungen, mehrstufige Sitzungsgefässe. Natürlich nutzen wir auch unsere Kommunikationsmittel, z. B. das Update, die verschiedenen Newsletter oder den Leistungsbericht. Entscheidender ist aber: Wenn ich das, was ich erzähle, auch lebe, wenn man merkt, dass das authentisch ist und ich das nicht nur in einem Papier wiedergebe, dann bin ich überzeugt, dass die Leute mir glauben. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir in der Geschäftsleitung in Einigkeit kommunizieren. Von daher sind die Multiplikatoren extrem wichtig und mir ist klar, dass ich alleine die verschiedenen Herausforderungen, die die Stiftung hat und vor sich hat, nicht löse. Ich setze mir ein Stück weit selber Druck auf. Ganz konkret: Im Sommer hatte ich die Möglichkeit, ganz viele Abteilungsleitungen im Wohnen zu interviewen und ihnen zuzuhören. Oft drehte es sich ums Thema «Gesund bleiben» oder auch um den Aspekt Lohn. Wenn ich mich dazu äussere, dann weiss ich genau, ich werde daran gemessen. Ich exponiere mich ganz bewusst. Man erwartet von mir, dass ich letztlich auch liefere. Gleichzeitig sind diese Abteilungsleitungen wiederum Multiplikatoren. Es sind sehr viele und sie sind auch wichtig, wenn man ihren Wirkungskreis anschaut.

Wo ist der Zusammenhang zwischen «Entscheidungen treffen» und «Gesund bleiben»?
Ich lege Wert darauf, dass man von zielgerichtetem Entscheiden spricht. Das Gegenteil wäre, nicht zu entscheiden bzw. die Entscheidung vor sich herzuschieben. Aus eigener Erfahrung sind unerledigte Dinge, die man auf den Schultern trägt, weil man nicht entscheidet und sie damit auch nicht loswird, belastend. Themen, die man zu entscheiden hat, lösen sich nicht von selbst. Wenn es ums Entscheiden geht, dann ist die Planung erst mal wichtig. Wenn ich einen Plan habe, dann habe ich die halbe Miete. Gut geplant, wird eine scheinbar fast unüberwindbare Aufgabe plötzlich lösbar. Deshalb ist das Fällen von Entscheiden ganz wichtig. Als Nächstes folgt die Umsetzung. Diese gelingt umso besser, je strukturierter das Vorgehen festgelegt ist. Wir haben in unserer Stiftung so viele Checklisten und Prozesse zur Verfügung. Ein strukturiertes Vorgehen wirkt entlastend, weil man nicht alles erfinden muss. Zu entscheiden, heisst auch, zu kommunizieren. Betroffene Personen und Stellen müssen miteinbezogen werden, damit Schnittstellen geklärt und Nachfolgeaufgaben sauber verteilt werden können. Verantwortlichkeiten können so auf möglichst viele und vor allem auf die richtigen Schultern verteilt werden. Wenn man Entscheidungen trifft, insbesondere im Team, kann man auch loslassen und wird entlastet.

Das ist also ein zentraler Punkt im Zusammenhang mit «Gesund bleiben»?
Ja. Und ich finde, da hat unsere Stiftung echtes Potenzial. Ich wünsche mir, dass die Fachpersonen mehr selbst entscheiden können im Rahmen ihres Tuns. Sie sind Expertinnen und Experten in ihren Aufgaben und das anerkenne ich. Wir haben diesem Aspekt mit der Erhöhung der formalen Kompetenzen für alle Führungspersonen bereits Rechnung getragen und sind in der Zwischenzeit in der Umsetzung im operativen Alltag.

Du hast vorhin von äusseren Faktoren gesprochen. Was sind denn die inneren Faktoren der einzelnen Fachpersonen? Du, Roger, hast auch eine eigene Gesundheit, was tust du dafür?
Wir als Menschen – genauso wie ich dazuzähle –, wir tun gut daran, wenn wir unserem eigenen Urteil Vertrauen schenken. Wenn wir unsicher sind, sollten wir uns an jemanden wenden können, z. B. an unsere Vorgesetzten oder an das Umfeld.

Und wie grenzt du dich ab?
In meinem Leben gibt es das «Lebensdörfli». Die Arbeit ist ein Haus in diesem Dorf – ein grosses Haus, vielleicht ein Block. Wenn ich in dieses Arbeitshaus reinkomme, bin ich voll da. Es ist mir total wichtig, präsent zu sein, aufmerksam zu sein, sowohl den Tag hindurch als auch in den einzelnen Sequenzen den Leuten gegenüber. Genauso ist mir der Umkehrschluss wichtig, dass, wenn ich den Arbeitsraum verlasse, ich dann auch die Arbeit hinter mir lasse. Selbstverständlich gelingt mir das nicht immer vollständig. Es gibt Sachen, die trage ich mit nach Hause. Aber dennoch – das ist etwas ganz Wichtiges. Daran habe ich viele Jahre gearbeitet. Mir gelingt das heute recht gut. Da gibt es auch Tricks, die ich anwende. Ich bin z. B. sehr strikt im E-Mail-Handling. Das heisst, wenn ich Ferien habe, dann bleiben die E-Mails im Postfach drin, ich mache überhaupt nichts. In den E-Mails hat es oft Themen, die sind unangenehm und die möchte man nicht sehen. Und das Risiko, das ich eingehen würde, wenn ich ein E-Mail während der Ferien sähe, ist mir zu hoch. Dann bin ich für niemanden mehr voll da, weder für mich noch für meine Frau oder für meinen Sohn. Dann haben wir letztlich drei Verlierer und das bringt nichts. Damit ich in meiner Rolle als Geschäftsleiter nach den Ferien trotzdem wieder parat bin, investiere ich. Nämlich einen Samstag oder Sonntag, um alle E-Mails zu bearbeiten. Wenn ich an den Arbeitsplatz zurückkehre, bin ich präsent und kann auch mit einem Smalltalk einsteigen. Das hilft mir persönlich, in Ruhe anzukommen.

Was machst du in deiner Freizeit?
Um auf das Bild des Lebensdörfchens zurückzukommen. Es gibt natürlich auch andere Lebensthemen. Ich möchte auch andere Häuser besetzen. Es gibt das Haus der Familie und auch innerhalb des Familienlebens gibt es wiederum Räume. Es gibt den Raum für mich und meine Frau. Da gehe ich mit ihr ins Kino. Oder wir haben einen Raum mit unserem Sohn und machen z. B. ein Spiel, gehen zusammen Fahrrad fahren – der Sohn im Anhänger. In diesen privaten Räumen bin ich ganz für sie da. Auch das Handy hat in einem solchen Moment keinen Platz. Es gibt natürlich auch einen Raum für mich selbst, da geht es nur um mich. Ich lese ein Buch oder ich bewege mich. Ich brauche das Draussensein und tanke im Wald oder auf der Joggingrunde, auf dem Fahrrad auf. Diese anderen geschäftsfernen Räume sind fürs Gesundbleiben extrem wichtig. Das hilft mir übrigens auch, andere Perspektiven einzunehmen oder zu erkennen, dass scheinbar Schwerwiegendes relativiert werden kann.

Hast du gesundheitliche Negativerfahrungen gemacht?
Ich habe Glück, dass ich robust bin. Aber es hat Situationen gegeben, da dachte ich, so geht das nicht weiter. Das war, als ich früh am Morgen mit der Arbeit angefangen, am Abend lange gearbeitet und trotzdem den Eindruck hatte, ich bringe das nicht «z’ Boden». Der Puls stieg und kam nicht mehr runter. Das waren die Momente, als ich mir sagte: Gut, da muss ich was verändern. Von dem her hat es nie eine Grenzsituation gegeben. Aber die Signale, dass der aktuelle Weg nicht gut ist, die hat es gegeben.

Diese Signale hast du immer wahrgenommen?
Irgendwann habe ich mir geschworen, dass ich nie ein Burnout haben werde. Das ist viele Jahre her. Leute haben mir gesagt, ich solle nicht so viel arbeiten und aufpassen. Ich habe mir damals überlegt: Ist es das Thema des Viel-Arbeitens oder sind es die Inhalte, die belasten? Das sind für mich zwei Welten. Ich habe den Eindruck, es gibt Leute, die arbeiten sehr viel und bleiben gesund. Das ist möglich, wenn sie ein Ziel sehen, sich positiv erleben und etwas bewirken können. Andere Personen arbeiten sehr viel weniger, in einem enger gesteckten Setting, und sind trotzdem von der Belastung her nicht an einem guten Punkt.

Was sagst du einer Fachperson, die sich am Rand ihrer Kräfte befindet? Was gibst du dieser auf den Weg?
Das Allerwichtigste ist, davon ausgehend, dass wir Individuen sind mit unterschiedlichen Ausgangslagen, dass sich eine Person eingesteht, wenn sie an ihre Grenzen kommt. Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist das Publikmachen. Für das haben wir Vorgesetzte. Die Vorgesetzten müssen das wissen. Punkt drei ist, da lege ich Wert darauf, wenn die unmittelbare vorgesetzte Person nicht reagiert, dann gibt es die nächste vorgesetzte Person und dann sind wir beim Thema Betriebskultur und Klima. Ich betone das deshalb, weil ich glaube, dass es Situationen gibt oder gegeben hat, in denen die übergeordnete Verantwortung nicht genügend wahrgenommen wurde und man den Eindruck hatte, das kommt dann schon wieder gut. Das ist nicht der Weg, den ich gehen möchte. Ich empfehle jeder Person, die Belastung frühzeitig zu benennen. Und ich unterstütze auch Settings wie Brückenlösungen, wenn temporär die Belastungen zu hoch sind. Auch dann, wenn die Brückenlösungen Geld kosten. Das ist im Vergleich immer noch viel günstiger, als wenn ein ganzes System, eine Wohnbegleitung oder ein Arbeitssetting zusammenbricht. Mein Aufruf am Schluss ist: Meldet euch bei euren Vorgesetzten, und zwar klar, transparent und ehrlich, wenn die Kraft noch genug gross ist.

Was sind das für konkrete Brückenangebote? Ein Beispiel?
Es gibt aus der bestehenden Organisation Brücken, die man machen kann. Wir haben die schöne Ausgangslage, dass wir relativ gross sind und ein Bereich kann durchaus, sofern es die Führung zulässt und unterstützt, von einem anderen Bereich Ressourcen gewinnen. Das ist im Bereich der Arbeit mehr als einmal gelungen – z. B. in der Produktion Baslerstrasse oder im Grünen Bereich in Bubikon. Und ich bin überzeugt, das geht auch im Wohnen. Indem man mit einer neuen Betriebskultur, die am Entstehen ist, tatsächlich über die einzelnen Angebote und Abteilungen hinaus hilft. Das ist eine Möglichkeit. Und die zweite Möglichkeit ist die Gewinnung von temporärem Personal auf dem herkömmlichen Weg.

Du hast vorhin gesagt, dass du in deinem ganz persönlichen Raum gerne ein Buch liest. Was war dein letztes Buch?
Es war ein Krimi von Silvia Götschi. Es spielt an der Zürichsee-Goldküste und es wird – wie für einen Kriminalroman üblich – gestorben (lacht).

Das Interview führte Fabienne Morgenegg, Leitung Kommunikation & Marketing bei der Stiftung Züriwerk.

 

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