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Montag 13. Juni 2022

Neues GL-Mitglied: Andrea Kaufmann übernimmt die Geschäftsbereichsleitung Betriebe

Per 13. Juni 2022 übernimmt Andrea Kaufmann die Geschäftsbereichsleitung Betriebe bei Züriwerk. Die Geschäftsleitung konnte damit eine starke Unternehmerinnenpersönlichkeit als Mitglied gewinnen. Andrea Kaufmann bringt nicht nur breit gefächerte Kompetenzen und grosse Führungserfahrung mit. Durch ihre langjährige Tätigkeit in unterschiedlichen Positionen kennt sie die Stiftung aus verschiedenen internen Blickwinkeln. Im Interview spricht sie über ihre neue Rolle, zentrale Herausforderungen und über die Schwerpunkte, die sie setzen möchte.

Andrea, du bist seit 2013 bei der Stiftung Züriwerk tätig. Wie kam es zur Anstellung?
Ich wollte unbedingt zur Stiftung Züriwerk, das war ein Herzenswunsch. Schon während meinem Studium entwickelte ich ein starkes Interesse an der Frage, wie wir als Gesellschaft Menschen begegnen, die eine Beeinträchtigung haben. Später vertiefte ich mich insbesondere in den Bereich Arbeit. Denn Arbeit, finde ich, ist das zentrale Moment zur Teilhabe an der Gesellschaft.

Bei Züriwerk wurde damals schon Pionierarbeit geleistet. Die Berufliche Integration setzte sich dafür ein, dass Menschen mit Beeinträchtigungen im ersten Arbeitsmarkt lernen und arbeiten können. Ich wollte Teil davon sein und bewarb mich blind. Mit Erfolg: Ab 2013 durfte ich den Bereich Berufliche Integration mitprägen, zunächst als Abteilungsleitung, ab 2016 zusammen mit Markus Wunderli als Co-Bereichsleitung.

Wie haben dich deine Erfahrungen im Bereich Berufliche Integration geprägt?
Als ich in der Beruflichen Integration angefangen habe, war meine Vorstellung: Inklusion ist nur im ersten Arbeitsmarkt möglich. Und ich erlebte viele Situationen, in denen dieses Modell erfolgreich umgesetzt wurde. Aber ich merkte auch, dass das nicht immer das Ziel sein kann. Es gibt Menschen, für die es nicht möglich ist, am ersten Arbeitsmarkt teilzunehmen. Und auch diese Menschen haben Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben. Geschützte Arbeitsplätze ermöglichen ihnen Teilhabe und Inklusion auf eine andere Art – wenn es eine Verbindung zur umliegenden Gesellschaft gibt. Dieses neue Verständnis hat mich dann auch motiviert, 2019 in den Züriwerk-Bereich Produktion zu wechseln.

Dann war der Wechsel in die Produktion mit den geschützten Arbeitsplätzen für dich ein logischer Schritt? Eine Möglichkeit, eine weitere Facette von Arbeiten mit Beeinträchtigungen vertieft kennen zu lernen?
Genau. Ich hatte durch den internen Austausch schon einiges über die Züriwerk-Produktionen erfahren und hatte grosse Achtung vor ihrer Arbeit. Ich vermutete, dass die Anforderungen sehr komplex sind. Das hat sich dann auch bestätigt.

Inwiefern?
Die Produkte und Dienstleistungen aus der Produktion werden vermarktet und tragen einen substanziellen Teil zur Finanzierung der Stiftung bei. Daraus ergibt sich für die Arbeitsagogik ein dualer Auftrag: Einerseits die Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung, andererseits die Abwicklung von Kundenaufträgen. Diese Anforderungen stehen manchmal im Widerspruch und erfordern flexible Begleitmodelle und ein ständiges Austarieren durch die Fachpersonen. Ein dritter Anspruch kommt nun durch die UN-BRK (die Uno-Menschenrechtskonvention) dazu: Man muss auch Inklusion ermöglichen. Das heisst, die Tätigkeit soll selbstbestimmt und in einer alltäglichen Arbeitssituation mitten in der Gesellschaft stattfinden.

Die Züriwerk-Produktion arbeitet also in einem sehr anspruchsvollen Spannungsfeld?
So ist es. Dazu kommt, dass diese drei Aufträge, die Agogik, die Leistungserbringung und die Ermöglichung von Inklusion, mit zunehmend knapper werdenden Ressourcen erfüllt werden müssen. Der Kanton Zürich ist unser grösster Auftragsgeber, und die kantonalen Leistungsabgeltungen sind an klare Rahmenbedingungen gebunden. Es werden professionelle Standards erwartet, deren Einhaltung viel administrativen und organisatorischen Aufwand mit sich bringt. Das bindet Ressourcen. Gleichzeitig werden die Abgeltungen immer knapper abgerechnet. Man kann es so zusammenfassen: Wir müssen immer mehr leisten für immer weniger Geld.

Wie kann man einer solchen Situation begegnen?
Es ist unser Job, zu schauen, wie man das Beste herausholen kann. Die Fachpersonen machen diesen Job täglich mit grossem persönlichem Engagement. Und die Stiftung Züriwerk als Organisation hat sich enorm entwickelt. Unsere Prozesse, Tools und Systeme wurden professionalisiert. Beispielsweise sind wir im Bereich Mechanik und Montage ISO-zertifiziert und sind dabei, die Zertifizierung auf weitere Bereiche auszudehnen. Als Leitungsperson muss man aber auch aufmerksam bleiben und abwägen: Was braucht es wirklich? Und was bringt mehr Aufwand als Nutzen? Wie gesagt, leisten die Fachpersonen schon sehr viel.

Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit mit Unternehmenskunden?
Auch bei unseren Auftragsgebern aus der Wirtschaft gibt es einen Wandel bei den Anforderungen und eine Tendenz zum Sparen. Es ist noch nicht so lange her, da erfüllten wir langfristige, stabile Aufträge für eine überschaubare Anzahl von Partnern. Die Schweizer Unternehmer stehen heute jedoch stärker denn je vor Herausforderungen wie Digitalisierung, Automatisierung und steigendem Preisdruck. Sie müssen flexibel bleiben und sparen. Deshalb kommen die Aufträge oft kurzfristig und punktuell, sie sind auch weniger gut bezahlt. Für uns bedeutet das, dass wir laufend neue Nischen, neue Betätigungsfelder suchen müssen.

Das heisst, die Produkte und Dienstleistungen von Züriwerk müssen ständig angepasst werden?
Ja. Und das macht man nicht von heute auf morgen. Nehmen wir zum Beispiel unseren Webshop-Service. Züriwerk übernimmt für verschiedene Kunden die Abwicklung der Online-Bestellungen, von der Lagerbewirtschaftung bis zum Rücknahmemanagement. Da sind wir mit unserem Angebot auf eine grosse Nachfrage gestossen. Diesen Service könnten wir theoretisch schnell ausbauen und den abnehmenden Mailing-Bereich ersetzen.

Aber die Anforderungen an die Mitarbeitenden sind nicht dieselben. Ein solcher Angebotswechsel führt also auch zu anderen Mitarbeitenden mit anderen Beeinträchtigungen. Das wiederum verändert die agogische Arbeit, unseren zentralen Auftrag. Um weiterhin Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Voraussetzungen in der Begleitung gerecht zu werden, kommt deshalb der Angebotsschärfung und -entwicklung eine grosse Bedeutung zu.

Was motiviert Unternehmen, trotz des Kostendrucks Produkte und Dienstleistungen von Züriwerk zu beziehen, statt in Niedriglohnländer auszuweichen oder automatisiert zu produzieren?
Es ist der Mehrwert der lokalen sozialen Verantwortung. Wenn man mit der Stiftung Züriwerk zusammenarbeitet, ist das echte Corporate Social Responsibility. Damit beweisen Unternehmen, dass sie die Gesellschaft in der Schweiz aktiv mitprägen möchten.

Nebst den übergeordneten Entwicklungen, was ist dein persönliches Fazit aus der Zeit in der Produktion?
Ich merke immer wieder, wie engagiert die Fachpersonen und Mitarbeitenden sind. Wie viel Herzblut in die Arbeit hineingesteckt wird. Ich erlebe eine sehr hohe Identifikation mit der Arbeit. Was unsere Betriebe täglich leisten, ist beeindruckend.

Per 13. Juni 2022 übernimmst du die Geschäftsbereichsleitung Betriebe und wirst neues Geschäftsleitungsmitglied. Was hat dich für diesen Schritt motiviert?
Mein Interesse an der Organisationsentwicklung und den strategischen Fragen konnte ich bereits seit 2016 als Stellvertretung der Geschäftsbereichsleitung Betriebe einbringen. Ich kenne das Gremium also schon sehr gut. Und jetzt hat sich die Möglichkeit aufgetan, in dieser mir bekannten Konstellation noch mehr Verantwortung zu übernehmen und mitzugestalten. In einem Team, dem ich vertraue, mit dem ich sehr gut zusammenarbeiten kann. Das ist natürlich eine riesige Chance.

Was sind die wichtigsten Anliegen, deine Herzensziele in deiner neuen Rolle?
Was mich bewegt, ist die Inklusion, diese ist mir ein persönliches Anliegen. Deshalb habe ich eine hohe Identifikation mit der Mission von Züriwerk: Arbeits- und Wohnplätze anzubieten, die ganz unterschiedlich sind, aber so, dass die Menschen mit Beeinträchtigungen Teilhabe und Inklusion erleben können. Und in dieser Hinsicht haben wir in der Schweizer Gesellschaft und den Schweizer Institutionen aktuell eine grosse Aufgabe. Es ist wichtig, die Umsetzung der UN-BRK voranzutreiben. Da müssen Politik und Wirtschaft ihre Beiträge leisten, und natürlich auch wir, die Institutionen und Fachpersonen.

Im Geschäftsbereich Betriebe bedeutet das, Arbeitsplätze anzubieten, die unseren unterschiedlichen Klientengruppen gerecht werden und auf einer individuellen Ebene Inklusion ermöglichen. Hier lautet ein wichtiges Stichwort: Durchlässigkeit. Dass man nach der Schule vielleicht in einem Atelier anfängt, sich dann weiterentwickelt und an einem geschützten Arbeitsplatz Erfahrungen sammelt. Und irgendwann in den ersten Arbeitsmarkt einsteigen kann. Aber auch, dass man wieder zurückkommen kann, wenn es schwierig ist. Oder dass man im Hinblick auf das Alter ein passendes Arbeitsumfeld findet. Unsere Stiftung ist diesbezüglich sehr breit aufgestellt, das ist eine grosse Ressource von Züriwerk. Daran müssen wir weiterarbeiten.

Gleichzeitig müssen wir innovativ sein, Neues auf die Beine stellen. Um das trotz der finanziellen und zeitlichen Ressourcenknappheit zu schaffen, müssen wir einige Grenzen sprengen und eine gewisse Unabhängigkeit von den behördlichen Rahmenbedingungen erreichen. Vielversprechende Ansatzpunkte hat die Geschäftsleitung in der Strategie 2024 bereits festgelegt. Wir werden eine proaktive Zusammenarbeit mit dem Kanton Zürich pflegen. Und die fortschreitende Vernetzung mit Partnern und anderen Institutionen schafft Möglichkeiten, Angebote zu bündeln.

Das Interview führte Caroline Waldburger, Fachperson Kommunikation & Marketing bei der Stiftung Züriwerk.

Über Andrea Kaufmann

Andrea Kaufmann (Jahrgang 1980) studierte Sonderpädagogik, Betriebswirtschaftslehre und Sozialwissenschaften an der Universität Zürich. Den Fokus ihres beruflichen Engagements setzte sie schon früh im Bereich Arbeitsintegration. Sie forschte zu den Themen Arbeit und Ausbildung, erwarb praktische Berufserfahrung in der Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen und bildete sich laufend weiter. Auch aufgrund einer fünfjährigen Selbständigkeit und nebenberuflichen Aktivitäten wie etwa der Vorstandsarbeit beim Verein Supported Employment Schweiz verfügt Andrea Kaufmann über ein ausgedehntes Netzwerk.

2013 stiess sie zur Stiftung Züriwerk. In den folgenden sechs Jahren prägte sie den Bereich «Berufliche Integration» auf verschiedenen Leitungsstufen entscheidend mit. 2019 wechselte sie in den Bereich «Produktion», wo sie seither die Standorte Ida- und Seestrasse leitete. Seit August 2016 war sie ausserdem stellvertretende Leiterin des Geschäftsbereichs «Betriebe».

Andrea Kaufmann lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Adliswil.

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